Aus den Gedanken des Zeitgeistes

Ich bin der Geist der heutigen Zeit, und mein Ziel ist es, Macht über die Menschen zu erlangen. Das Spiel, das ich mit ihnen am liebsten treibe, ist sie gefügig zu machen für allen möglichen Unsinn – und sie dabei glauben zu lassen, dass sie immer noch selbst über sich bestimmen.

Mein Trick, die Menschen gefügig zu machen, ist sie dauernd zu beschäftigen mit Oberflächlichkeiten. Ihr Hirn laufend zu füttern mit Müll wie etwa Nachrichten über Skandale und Sensationen. Sie zu beschäftigen mit sinnentleerten Dingen wie dauernd sich ändernden und so neu zu erlernenden Anwendungen für den täglichen Gebrauch von Handys, PC-Programmen und so weiter. Sie auf Trab zu halten mit dauernder Erreichbarkeit und Verfügbarkeit durch die heutigen Kommunikationsmittel. Sie möglichst überall die Qual der Wahl haben und glauben zu lassen, sie wären glücklichere und freiere Menschen damit.

Durch diese Beschäftigungen kann ich ihnen eine gewünschte Denkrichtung eintrichtern, indem ich diese darin verstecke. Zum Beispiel mit Neuigkeiten in den Medien, die sich hauptsächlich um die Wirtschaft drehen, um Geld oder um Sicherheiten. So nehmen diese Dinge in ihrem Denken die nötige Wichtigkeit ein! Oder ich sammle die furchtbarsten Geschichten aus sieben Milliarden Menschenleben – da gibt es doch täglich einige – und stelle diese als den vorherrschenden Zustand auf diesem Planeten dar. Damit wird das Misstrauen der Menschen untereinander genährt und Vorurteile werden geschaffen. Oder ich präsentiere ihnen den besten Weg zum grössten individuellen Glück durch die schnellstmögliche Befriedigung ihrer momentanen Wünsche. Dies ganz nach dem Motto der heutzutage drei wichtigsten Worte: „Ich – alles – sofort!“, welche die drei wichtigsten Worte aus einer Zeit meines Vorgängers „Ich – liebe – dich“ endlich abgelöst haben. Die Liebe war mir immer ein unergründliches Kapitel, der Egoismus hingegen ist ein einfach zu steuerndes, dummes Ding.

Wichtig ist, dass die Menschen ob all den Informationen und Beschäftigungen nicht mehr dazu kommen, zu reflektieren, nachzudenken über sich und die Welt, über die grundlegenden Sachen. Über das Warum des Lebens, das Woher und Wohin. So vergessen sie bald, dass sie selbst in sich eine Stimme tragen, die nicht nur von der Umwelt geformt wurde. Ja gar eine Bestimmung, die sich aus ihrer einzigartigen Persönlichkeit ergibt und der zu folgen ihnen das Leben sogenannt sinnerfüllt und lebenswert machen würde. Dabei sind die Kinder die mühsamsten Kandidaten, sie hören mir nur sehr schlecht zu und phantasieren viel zu viel! Sie lassen sich oft erst im Erwachsenenalter ganz von ihrer inneren Stimme abbringen.

Ein erleichternder Umstand, meiner Stimme mehr zu gehorchen ist der, dass die Menschen der Normierung und Vereinheitlichung den höheren Wert zumessen als der Vielfalt. Für den Einzelnen ist die Entdeckung und Verfolgung einer eigenen Bestimmung vor allem mit Mühsal verbunden, da diese Bestimmung fast sicher von der Norm abweicht, welche man die grosse Masse nennt und die ich definiert habe. Meist fehlt auch der Mut, gegen den Strom zu schwimmen; aber auch die dem Menschen angeborene Bequemlichkeit spielt mir in die Hände. Lieber die leise Stimme in sich selbst zum Schweigen bringen und sich von der Masse treiben lassen….

In der heutigen globalisierten Welt hat es sowieso keinen Platz mehr für die vielfältigen Gaben des Einzelnen, womit er etwa gar seinem Nächsten dienen würde! Gedient werden muss der globalisierten Welt, und dafür hat jeder seinen Platz einzunehmen. So kann das Rad sich drehen, die Wirtschaft wachsen, Geld und Macht sich auf je länger je weniger Menschen konzentrieren, und zwar auf solche, die mir schon lange ganz gehören. Ja, das ist der Platz des Menschen, seine Bestimmung in der heutigen Zeit.

Klar, viele Menschen unter meiner Kontrolle denken, dass sie noch selbständig denken. Dabei werden sie doch längstens gedacht! Sie meinen, dass sie selbst bestimmen, dabei haben sie sowohl ihre eigene Meinung wie auch ihre eigene Bestimmung längst verloren.

Ich muss lachen, wenn ich ihre „selbstbestimmte“ Kreativität anschaue, etwa beim Verzieren ihrer Autos, wie es bis vor Kurzem der Fall war. Da gibt es doch hunderte verschiedene Farben und tausende verschiedene Sujets in der Welt, aber es wurden zwei bis drei graue, gerade Striche in Längsrichtung draufgemalt. Wer etwas wagte, machte nur einen einzigen Strich drauf, und der ganz Kühne machte sie quer, und wenn‘s ganz hoch kam gar mit einer anderen Farbe anstelle von grau! Ja, das sind schöne Beweise dafür, wie es mir gelungen ist, das Denken und Handeln in enge Bahnen, in meine Bahnen zu leiten!

Hier noch einen Tipp an dich, Mensch: Probier nicht etwa, wieder in dich reinzuhören. Sonst findest du dort nämlich das Chaos vor, welches ich veranstaltet habe, das heisst die dunkle Leere, die ich in dir geschaffen habe. Daran könntest du vollends verzweifeln, und das möchte ich auch wieder nicht; ich habe noch Verwendung für dich. Ja, ich habe mir alle Mühe gegeben, in dir die Spuren zu verwischen, die dich noch daran erinnern könnten, dass du ein einmaliges, würdiges und geliebtes Wesen bist. Der dich erschaffen hat, behauptet ja, er habe dich nach seinem Bild gemacht. Er hängt auch ziemlich an dir – deswegen kann ich seine Spur in dir nie ganz ausradieren. Aber dass er sogar selbst auf die Erde gekommen ist und sein Leben aus einem nichtigen Grund wie der Liebe für deinesgleichen gab, das gilt zum Glück grösstenteils nur noch als ein Märchen.

Darum, anstatt in dich reinzuhören, höre auf mich und folge mir nach. (In diesen Momenten schätze ich es, dass dein Erschaffer dir einen freien Willen gegeben hat und dich gehen lässt, wohin du willst.) Folge mir nach, ich gebe dir Spass und ständig etwas, um dir deine Zeit zu vertreiben – bis dir keine Zeit mehr übrigbleibt!

Falls du sagst, dass dich das Ganze gar nicht interessiert: Umso besser, dann funktionierst du bereits gut. Dann gehörst du wohl bereits zu denjenigen, welchen alles egal ist, solange man ihnen nicht das Sofa unter dem Hintern wegnimmt. Ja, das Sofa und den Fernseher, solange sie dies noch haben, kann sie nichts auf dieser Welt so richtig aufrütteln. Sie kaufen zum Beispiel die gleichen Sachen lieber aus der Hand von geldgierigen und machthungrigen Milliardären anstatt von nachhaltigen und lebensfreundlichen Unternehmungen, wenn sie dabei auch nur 50 Rappen sparen können! Sie machen sich keine Gedanken über Recht und Unrecht und schon gar nicht über ihren eigenen Beitrag für eine sogenannt gerechtere und friedlichere Welt.
Erst wenn man ihnen das Sofa und den Fernseher wegnimmt, werden sie erwachen, würden sie sich wehren wollen. Aber wie, das wäre ein Gaudi zum Zuschauen! Da wäre ein Heer von Einzelkämpfern, blind in alle Richtungen um sich schlagend und sich gegenseitig niedermetzelnd, denn das Miteinander kennen sie nicht mehr.

Mit einer Unart im Menschen habe ich meine Mühe. Und zwar wenn er seine sogenannten Träume nicht aufgegeben hat und immer noch glaubt, dass es sich lohne, für Dinge wie „Wahrheit“, „Liebe“, „Leben“ und solches Zeugs zu kämpfen. Schlimmer noch, wenn er sich gar auf die Quelle all dessen verlässt und auf sie zu hören versucht. Diese Quelle, durch welche er die Inspiration und die Kraft für solch kontraproduktives Leben erhält – sie kommt von diesem Einen, und hier muss ich mich geschlagen…, ach lassen wir das. Ich kann diese Quelle im Menschen zwar nicht vernichten, doch kann ich sie sehr wohl zuschütten!

Ich bin der Geist der heutigen Zeit, und mein Ziel ist es, die Macht über die Menschen zu erlangen. Ich führe sie an der Nase herum und mache sie glauben, dass sie immer noch selbst über sich bestimmen!

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